Es kommt nicht häufig vor, dass eine Kirche unverhohlen einen Angriffskrieg gutheißt. Mit seinen Aussagen zum Ukraine-Krieg schockt der Moskauer Patriarch Kyrill I. regelmäßig seine ökumenischen Partner – etwa wenn er den Einmarsch russischer Truppen als Kampf gegen das „große Übel“ wie Homosexualität bezeichnet, dem Westen die alleinige Schuld an dem Krieg gibt oder Russland als ein Land hinstellt, das noch nie ein anderes Land angegriffen, sondern immer nur seine Grenzen verteidigt habe.
Als „Messdiener Putins“ bezeichnete Papst Franziskus Kyrill Anfang Mai gegenüber italienischen Medien, was ihm sofort eine Rüge aus Moskau einbrachte. Eigentlich ist die vatikanische Kirchendiplomatie für ihre leisen Töne bekannt. Doch alle Versuche, in dem Konflikt eine vermittelnde Rolle zu spielen, sind bisher gescheitert. Der Wunsch von Franziskus, den Kollegen in Moskau persönlich zu treffen, stieß auf taube Ohren. Auch im Kreml will man den Papst nicht sehen. Anfang Mai hat Franziskus ein für Mitte Juni vereinbartes Treffen mit Kyrill in Jerusalem abgesagt.
"Falscher Weg des religiösen Patriotismus"
Damit sind die Beziehungen zum Moskauer Patriarchat nicht offiziell abgebrochen. Angesichts der Kriegsverbrechen in der Ukraine und des Ausmaßes an Zerstörungen fordern aber immer mehr Theologinnen und Theologen weltweit, ökumenische Verbindungen zur ROK abzubrechen. Als einer der Ersten verlangte Ende März der tschechische Theologe Pavel Černý, der von 2005 bis 2009 Vorsitzender des tschechischen Kirchenrats war, dass der ÖRK die ROK so lange ausschließen solle, bis sie sich „von diesem falschen Weg des religiösen Patriotismus verabschiedet hat“. Dem schlossen sich die deutsche Theologin und Vorständin der Heinrich-Böll-Stiftung, Ellen Ueberschär, sowie Rob Schenck an, der Präsident des Dietrich-Bonhoeffer-Instituts in Washington, D. C. Auch das ehemalige Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Rowan Williams, forderte einen Bruch des ÖRK mit Moskau.
Doch für den kommissarischen Generalsekretär des ÖRK, Ioan Sauca, kommt das derzeit nicht in Frage: „Wenn wir die ausschließen, die wir nicht mögen und mit denen wir nicht übereinstimmen, mit wem sollen wir dann sprechen und Versöhnung voranbringen?“ Es sei leicht, jemanden auszuschließen, zu exkommunizieren oder zu dämonisieren. Als ÖRK sei man aber zu Dialog und Zuhören aufgerufen.
Für den Ausschluss eines Mitglieds gibt es im ÖRK Regeln
Sauca hatte gleich zu Anfang des Krieges Patriarch Kyrill aufgefordert, das Blutvergießen in diesem „Bruderkrieg“ zu beenden. Und vor Ostern bat er ihn, sich wenigstens während der Feiertage für einen Waffenstillstand einzusetzen. Doch auch er stieß beim Moskauer Patriarchat auf taube Ohren.
Für den Ausschluss eines Mitglieds gibt es im ÖRK Regeln. So kann eine Kirche zum Beispiel aus theologischen Gründen ausgeschlossen werden oder wenn sie ihre Mitgliedspflichten permanent verletzt. Es ist nicht das erste Mal, dass der ÖRK darüber nachdenken muss. Während der Apartheid in Südafrika, während des Genozids in Ruanda und während des Kriegs auf dem Balkan hatte es ähnliche Diskussionen zur Haltung einzelner Kirchen gegeben. Doch nur die Mitgliedschaft der Kimbanguistenkirche in der Demokratischen Republik Kongo ruht seit 2001, nachdem ihr Oberhaupt verkündet hatte, selbst der Heilige Geist zu sein.
Der ÖRK wird eine Entscheidung treffen müssen
Im Fall der ROK läuft dem ÖRK allerdings die Zeit davon. Denn für Anfang September sind alle 352 Mitgliedskirchen zur Vollversammlung nach Karlsruhe eingeladen, um inhaltlich und personell die Weichen für die nächsten mindestens acht Jahre im ÖRK zu stellen. Eine Delegation aus Moskau hat sich bereits angemeldet.
Allerdings vertritt die ROK innerhalb des ÖRK nicht nur russisch-orthodoxe, sondern auch ukrainisch-orthodoxe Christinnen und Christen. Deren Kirche hatte sich 2019 gespalten in eine moskautreue und eine unabhängige Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU). Letztere ist allerdings nicht Mitglied im ÖRK, auch weil die ROK sich dagegenstellt. Bei seiner Sitzung Mitte Juni wird der Zentralausschuss des ÖRK klären müssen, wie man künftig mit der ROK umzugehen gedenkt.
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